[teaser]Zwei neue Krimis prominenter Autoren schicken ihre Protagonisten ins kühl glänzende Innerste der Hölle: das eines modernen Schlachthofs.[/teaser]
Die amerikanische Autorin Donna Leon, deren freundlich-naiver Commissario Brunetti dem deutschen Lesepublikum seit Jahren bekannt ist, beschreibt in „Beastly Things“ die Geschäftspraktiken, die auf einem modernen Schlachthof in Europa womöglich gang und gäbe sind, und bei denen die Profiteure der Tierausbeutung „Tierische Profite“ machen, so der gar nicht unpassende Titel der deutschen Übersetzung des Buches, das 2013 erschienen ist.
Den Themen Tierausbeutung, Gesundheitsgefährdung, Betrug und Bestechung fügt Wolfgang Schorlau in seinem am 27.12.2013 erschienenen Roman „Am zwölften Tag“ noch das nicht minder brisante Thema der Ausbeutungsverhältnisse hinzu, unter denen die meist aus Osteuropa stammenden Arbeiter in der Fleischindustrie leiden.
Donna Leon: Beastly Things
Auch in früheren Romanen scheute Donna Leon, ebensowenig wie Wolfgang Schorlau, nicht davor zurück, brisante Themen anzupacken und den Finger in die Wunden einer nur scheinbar solidarischen und demokratischen Gesellschaft zu legen. Mit viel Engagement widmete sie sich Themen wie den ausgegrenzten Volksgruppen der Sinti und Roma, Menschenhandel oder der Korruption in vielerlei Gestalt. Manchmal schon war der brave Commissario genervt von der moralischen Rigidität seiner klugen Gattin Paola, die sich mit Unrecht noch weniger abfinden wollte als er. Auch dass es unter seinen Kolleg_innen und Mitarbeiter_innen in der Questura Personen gibt, für die Umweltschutz ein konstant wichtiges Thema ist, kannte man bereits. Dennoch fällt auf, mit welcher Eindringlichkeit „Beastly Things“ sich dem Thema der Fleischerzeugung annimmt. Vielleicht hängt es genau damit zusammen, dass viele Kritiker meinten, „Beastly Things“ sei Leons seit langem bester Roman.
Das zunächst anonyme Mordopfer wird schließlich als Tierarzt erkannt, der in einer finanziellen Notlage einen Zweitjob in einem Schlachthof annahm, wo er mit seiner Weigerung, wegzusehen, wenn es opportun ist, aneckte. So sehr, dass er schließlich beseitigt werden musste. Thema sind nicht nur die inneren Konflikte des Arztes, der Tiere doch heilen wollte und im Schlachthof kranke wie vollkommen gesunde Tiere dem Tod überantworten musste, nicht nur die verbrecherische Praxis, massenhaft verseuchtes Fleisch kranker Tiere als gesund und für den menschlichen Konsum unbedenklich zu verkaufen. In einer Szene werden Brunetti und Commissario Vianello durch den Schlachthof geführt. Nicht dass beide in ihrer bisherigen Erfahrungswelt von Hintergrundinformationen über die Fleischerzeugung verschont geblieben wären. Nicht nur Brunettis Tochter Chiara und die kluge und fähige Signorina Elettra sind längst Vegetarierinnen, sondern auch Brunettis Kollege Vianello, der ihn in das Schlachthaus auf dem Festland begleitet, hat Brunetti schon oft die Gründe für seinen Fleischverzicht dargelegt. Aber was sie im Schlachthof erleben, ist nur Alltag und erschüttert doch die beiden hartgesottenen Polizisten bis auf die Grundfesten. Tiere, die sich wehren, die dem Tod ins Auge sehen und schreiend und zappelnd und doch vergeblich vor ihm fliehen, die ihren Lebenswillen hinausschreien wie ihre Todesangst, sie alle werden vor Brunettis und Vianellos Augen plötzlich zu Individuen, Wesen wie du und ich. Das, und nicht so sehr nur der Anblick des Blutes und die Kakophonie der Schreie in ihren Ohren, ist das eigentlich Erschütternde, das Brunetti und Vianello in die Knochen fährt und ihre Knie so weich werden lässt, dass sie kaum in die schützende Stadt zurückfinden. „Leon has never written a more powerful sequence than the chapter in ‚Beastly Things‘ where Brunetti and Vianello visit a busy slaughterhouse“, schrieb Peter Green vom London Daily Telegraph. Hier sind sie, die von Beatle Paul McCartney geforderten Schlachthäuser mit Wänden aus Glas. Wie viele von Donna Leons Leser_innen nach dieser eindringlichen Lektüre ihre Ernährungsgewohnheiten wohl überdenken? Sei es aus Angst vor Krankheitsrisiken durch das rückstandbelastete Fleisch kranker Tiere oder aber aus Respekt vor dem Individuum, das jedes einzelne der für uns geschlachteten Tiere ist – und wie vollkommen unsere Verdrängungsleistung auch sein mag.
Wolfgang Schorlau: Am zwölften Tag
Nicht weniger eindrucksvoll, subtil und spannend ist der in den letzten Dezembertagen des Jahres 2013 erschienene Roman Wolfgang Schorlaus „Am zwölften Tag“, in dem er seinen Stuttgarter Detektiv und Ex-BKAler Georg Dengler zum siebten Mal ermitteln lässt. Wie Brunetti ist auch Dengler Vater eines Teenagers, doch anders als in der heilen Familienidylle Brunettis lernt der geschiedene Vater Dengler seinen Sohn erst nach dessen spurlosem Verschwinden kennen, als er, von seiner Ex-Frau alarmiert, den PC seines Sohnes nach Hinweisen durchsucht. In verschlüsselten Dateien wartet massenhaft Videomaterial, das den Ermittler durch seine grausamen Inhalte ebenso sehr schockiert wie durch die Tatsache, dass die kühl-sachliche Stimme aus dem Off, die die schockierende, alltägliche Praxis der Ausbeutung von Puten, Rindern und anderen „Nutztieren“ kommentiert, die seines Sohnes ist. Die Suche des Ex-Zielfahnders nach dem eigenen Kind fördert nur nicht die grausigen Details der Nutztiererzeugung zu Tage, die wir alle zur Genüge kennen, und die der Autor Schorlau bei seinen Recherchen vielleicht schon erwartet hatte. Zu dem bekannten Elend der Tiere tritt in Schorlaus Roman das weitgehend unbekannte Elend der Menschen, Männer und Frauen aus Südosteuropa in den sklavenartigen Bedingungen einer Niedriglohnhölle gefangen, die dank derselben kriminellen Strukturen nach Deutschland verbracht werden können, die auch Frauen von dort in die Zwangsprostitution drängen. Schorlaus wie immer gründliche Recherchen sind so bestechend wie bedrückend, er erspart dem Leser nichts. Auch die beim ersten Lesen ein wenig phantastisch wirkenden Rockerbanden, die den Menschenhandel mit billigen Arbeitssklaven kontrollieren und diese wenn nötig auch gern mal zusammenschlagen, erklärt der Autor per Nachfrage als Ergebnis seiner Recherche – und letzten Endes ist es auch nicht erstaunlich, dass es solcher Netzwerke bedarf, um eine derart mörderische Industrie am Laufen zu halten. Dengler findet heraus, dass Jakob und seine Freunde im Auftrag einer Tierschutzgruppe Recherchen durchführten, die den Tierfabrikanten ein Dorn im Auge sein mussten und deshalb heimlich gemacht werden mussten, mit professioneller Kameraausrüstung und Nachtsichtgerät. Die Drahtzieher der Ausbeutungsmaschinerie sind dabei wenig zimperlich, wenn es darum geht, alles, was sich ihnen und ihrer Profitgier entgegenstellt, aus dem Weg zu räumen. Menschen, für die Tiere nur nach Kilogramm Lebendgewicht zählen, messen auch dem Leben eines Menschen, sei er Landwirt_in, Lohnarbeiter_in oder Tierschützer_in, wenig Gewicht bei. Das ist alles auch aus der Realität bekannt, nicht zuletzt aus unserem putzigen kleinen Nachbarland, in dem mit Tierschützer_innen auch gern wenig zimperlich umgesprungen wird – aber in dieser Dichte, Nüchternheit und dabei so atemberaubend spannend hat man davon selten gelesen.
Das „altmodische Stilmittel des Monologs“ nutzt Schorlau, um zwischen den einzelnen Handlungssträngen immer wieder einen Einblick in das schwarze Herz der Fleischindustrie zu erlauben. Carsten Osterhannes, ein fiktiver „Fleischbaron“, erklärt in diesen Monologen, wie man Gammelfleisch mariniert an den grillenden Mann oder vollkommen geschmacksfreies und dafür bakterienverseuchtes Putenfleisch an die diätende Frau bringt, oder wie man Puten so züchtet, dass sie den optimalen Ertrag bei geringstem Ressourenverbrauch gewähren – Einblicke, die in ihrer banalen, gewissenlosen Grausamkeit und unbarmherzigen Treffsicherheit bei der Beschreibung der realen Zustände zum Lachen reizten, bliebe es einem nicht im Halse stecken.
Im Interview erzählt Wolfgang Schorlau, dass auch sein eigener Sohn ihm erklärt hat, dass er nicht möchte, dass für ihn ein Tier stirbt – und dass er selbst seit den Recherchen für diesen Roman „um Fleischtheken einen weiten Bogen“ mache. Im Roman ist es Jakobs Freundin Laura, die Tochter der Pfarrerin, deren Freunde erst ihr zu Gefallen und schließlich aus Überzeugung für die Rechte der Tiere auf Leben und Unversehrtheit eintreten, und dafür, dass diese beiden höher stehen als die menschliche Lust auf einen kurzen Gaumenkitzel. Allerdings erscheint es mitunter etwas unrealistisch, dass eine Tierschutzorganisation ausgerechnet Neulinge im Teenageralter selbständig auf Recherche losschickt – aber Schorlau lässt Jakob und seine Freunde nicht umsonst zu Held_innen werden. Nicht nur, dass er selbst vor allem durch seinen Sohn zu diesem Thema kam, vielmehr waren es auch Schüler_innen, die er bei seinen häufigen Lesungen in Schulen traf, die ihn zu den vier jugendlichen – und so ganz verschiedenen – mehr oder weniger glücklichen Held_innen seines Buches inspiriert haben und denen er so eine Hauptrolle in einem seiner Bücher schenken wollte, statt nur immer die Generation der Väter zu Helden werden zu lassen. Und letzten Endes sind sie es, von denen eine glücklichere, eine gerechtere Zukunft abhängt. Schön, dass Wolfgang Schorlau und sein Detektiv Dengler das so deutlich werden lassen.
Ich wäre neugierig, wie viele von Donna Leons oder Wolfgang Schorlaus Leser_innen ähnliche Konsequenzen ziehen wie Leons Vianello oder Schorlaus Laura – und wie viele nicht. Sicher sind beide Bücher für Veganer_innen eine gute, weil spannende Investition – und für Omnivore mit etwas Glück der erste Tag in ihrem neuen Leben.