[teaser]Galerie des Entsetzens. Die ungeschminkte Wahrheit über Mensch-Tier-Verhältnisse. Ein Buch von Tobias Hainer (Lyrik) und Chris Moser (Kunst).[/teaser]
Ein Buch, das schon im Titel provoziert. Galerie des Entsetzens – normalerweise werden in Galerien Schönheiten dargestellt, gefällige Kunst, gehobene Unterhaltung. Kein Entsetzen, sondern Entzücken ist gewünscht, die von den Künstler_innen und Galerist_innen bevorzugte Reaktion ist das Zücken der Brieftasche, nicht das Zusammenzucken, wenn Zuschauer_innen im Innersten getroffen sind, so wie hier. Was hier geboten wird, ist gekennzeichnet von ausgefeilter Technik, ausgesuchter Schönheit, exquisiter Darbietung – aber es ist eine Schönheit, die der oder den empfindsamen Betrachter_in leicht das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Chris Moser, vielleicht Österreichs bekanntester Tierrechtsaktivist, den Berliner Aktiven nicht zuletzt bekannt durch seine Vorträge beim Animal Liberation Workshop im März und bei der Lesung aus seinen beiden Büchern „Die Kunst Widerstand zu leisten“ und „M. E. – meines Erachtens“, hat in Zusammenarbeit mit dem Musiker und Lyriker Tobias Hainer und dem Verein Die Tierbefreier e.V. ein Buch vorgelegt, das das Unerhörte wagt: Die Ausbeutungsverhältnisse zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren, deren Grausamkeit und Effizienz nur noch von ihrer alltäglichen Banalität übertroffen wird, sind unter ihren Stiften und Federn zur Kunst geworden, Objekte des künstlerischen Schaffens und des Betrachtens durch die Leser_innen und Besucher_innen der „Galerie“.
Nach einem Auftakt mit Chris, Tobi und Andre Gamerschlag von den Tierbefreiern bei uns in Berlin am 21.6.2014 tourt das Projekt derzeit durch Deutschland, um an verschiedenen Orten die Originalgrafiken von Chris und die Texte von Tobi, untermalt von Tobis stimmungsvoll-düsteren Gitarrenklängen, vorzustellen. Puristisch, reduziert, nur Bleistiftgrau und rote Farbe, rot wie das Blut, das die Tiere als einzige Farbe in ihrem düsteren Leben sehen, wenn am Ende ihr rotes Blut unter den Schlachtmessern der Metzger_innen oder Vivisektor_innen verströmt: Der Eindruck der Originalgrafiken, zusammen mit Tobis Texten und Musik, macht zunächst sprachlos. Aber das ist, denke ich, letzten Endes nicht das Ziel des Projekts – wir wollen davon reden, von der „Galerie des Entsetzens“, und noch viel mehr von ihrem Gegenstand, vom Leid der nichtmenschlichen Tiere, und für ein Ende dieses schreienden Unrechts eintreten.
Chris‘ Grafiken zeigen die vielen Facetten der alltäglichen Tierausbeutung aus nächster Nähe, sein Bleistiftgrau fängt die Tristesse, die Düsternis, die Ausweglosigkeit ihrer Langeweile, ihres Leidens, ihrer alltäglichen Schmerzen ein und gibt sie hautnah wieder, durch die Schlichtheit der gewählten Mittel einprägsamer als jedes Foto. Über jede Zeichnung ist Blut verspritzt, dort, wo der Bohrer sich unnachgiebig in den Schädel der Katze hinein schraubt, wo die klaffenden Hälse der in einer Reihe aufgehängten Schweineleiber ausbluten, der getötete Wolf seine Wunden an Bauch und Rücken sehen lässt oder im Euter der Kuh das Blut in den Adern sichtbar wird, das sie täglich durch ihren Körper pumpen muss, um die von Menschen geforderten Mengen an Milch zu produzieren, hinaus durch ihre wunden Zitzen. Auch ihre Milch, die aus der Kuh hinaus fließt in Schläuche und Tanks, ist mit Blut vermischt, krank durch die ständigen, unausbleiblichen Entzündungen der zarten Euter, aber wohl auch als Symbol für das Leben, das dieser Kuh wie jeder anderen mit jedem ihrer Babys genommen wird, und das sterben muss, damit wir trinken können. So steht das Blut nicht nur für die einzelnen Wunden der gezeichneten Tiere, sondern für den Blutzoll, den jede und jeder ihrer Artgenossen in der grausamen, unerbittlichen und bis ins letzte perfektionierten Ausbeutungsmaschinerie zu zahlen hat, Tausende von ihnen, in jeder Minute unseres Lebens, unaufhörlich, unaufhaltsam … oder doch nicht?
Fällt es mir schon schwer, Chris‘ Bilder zu beschreiben, so ist ein Kommentar über Tobis Lyrik eine fast unmögliche Aufgabe. Sie ist, so unglaublich das angesichts des Sujets scheinen mag, von fast Rilkescher Ausdruckskraft und ja, auch Schönheit. Besonders bei einem Gedicht drängt sich dieser Vergleich geradezu auf:
Verstabtes Monotoniegewölbe / farblos zerrinnt im grauen Tage / die neblig-erstarrte Zeitsteife / im Starrmuster des Vorhangnetzes /
Im engen Quadratraum / wesenlos gedrängt / dämmert das Leben
Hypnotischer Blick / sticht in Zwischenräume / des starren Eisenpanzers
Trostloser Gang / unendliche Unrast / an Stäben / des endlich Steppenblockes / die Füße wundgerieben
Kaltes Eismeer verstorbener Augen / eisig das blau-kühle Gefühlsgefüge / Zerfall der subjektlosen Tränen.
Niemand, der einmal Bilder aus einem Schweinemastbetrieb, oder gar dessen Enge und Trostlosigkeit selbst gesehen hat, die ganze Hässlichkeit, den Gestank, und mittendrin – Leben, Leben, das leben will, so wie ich, und doch zu einem wesenlosen Dahindämmern verurteilt ist, und zu einem grausamen, sinnlosen Tod, kann sich der Suggestionskraft dieser Bilder und Texte, die neue Bilder im Kopf evozieren, entziehen.
Dennoch ist in diesen Texten, anders als mitunter bei Rilke, das Ausdrucksmittel niemals Selbstzweck. Die Texte, die kongenial zu den Bildern sind, da beides in engem Dialog zwischen Künstler und Lyriker entstand, illustrieren nicht nur die Bilder und vice versa, vielmehr weisen die Texte auch über die Bilder hinaus: Neben dem Bild eines ausgebluteten Schweinekörpers mit erloschenen Augen thematisiert der Text nicht nur das Leiden und Sterben des Tieres, sondern auch die „Nahrungsmittel“verschwendung, die diesen Tod noch sinnloser macht – so werden allein in Deutschland werden von jährlich 60 Millionen geschlachteten Schweinen ca. 20 Millionen weggeworfen:
Morgenroter Regen des dunklen Niederfalls / überstrahlt die bleichen Wächter / wo des Todes Plätze sind / aufgehängte Schätze / aufbewahrt als Speisenüberfluss / das Resultat von tausend Toten / das im Prozess erlischt.
Ein anderer Text begleitet das Bild von kopflosen, blutenden Hühnerkörpern, die an den Füßen an einem Förderband aufgehängt einen grotesken Reigen tanzen:
Gestalten des Schreckens / mit zerbrochenen Flügeln / auf kranken Wegen / in Ruinen der Dämmerung … Zerbrochene Leichen / deren Kehlen / vorm Schluchzen zerschlitzt.
Ähnlich eindrucksvoll ist Chris‘ und Tobis Einblick in ein Tierversuchslabor. Wir sehen direkt in die weit aufgerissenen Augen einer Katze, deren Kopf von Metallpflöcken fixiert ist, während sich von oben ein Bohrer in ihren Schädel schraubt. Überhaupt sind die Augen der von Chris gezeichneten Tiere in den meisten Darstellungen ein Fixpunkt; es sind unglaublich ausdrucksvolle Augen, aus denen eine ganze Welt des Schmerzes spricht, des unverstandenen und unverstehbaren Leidens, dem unsere Mitgeschöpfe durch unsere eigenen Artgenossen allüberall ausgesetzt sind, dessen Mitauftraggeber_innen und Mitprofiteur_innen zu sein wir uns ausnehmen können.
Im Wissensraum / tausend eingeimpfter Strafen / zerfällt / verdinglichtes Leben / als Wertmesser / in Mosaiksteine / verzauberter Phantasieerleuchtung.
Leise hämmert / der Puls / verstummten Lebens / lieblos / einen Herzschlag / im Takt / zerschmelzender Uhrenzifferblätter.
So viel spricht aus diesen Texten, das sinnlos gewordene, unaufhaltsame Verströmen der Zeit, kalt tickende Laboruhren, ohne Aussage für die, deren Leiden ohne Anfang und Ende ist, die stumm gemacht werden, verdinglicht, zu Messinstrumenten für eine ziellos zerstörende Wissenschaft, die in ihren Laboren wie in Tempeln einer maßlos gewordenen Wissbegierde Leben zerstört um des Zerstörens willen, bedenkenlos – „Macht / das Wagnis / ergründen / für / Empfindungen / unerträglich“.
Unerträglich, so mögen Chris‘ Bilder und Tobis Texte aufs erste scheinen, und unerträglich und doch jeden Tag ertragen ist auch das maßlose Leid, das sie abbilden und in Worte fassen, das als Gegenstand der Kunst eine Ästhetik der Bilder und der Sprache gewinnt, die nur in scheinbarem Widerspruch zu der Banalität und Hässlichkeit der tatsächlichen Ausbeutungsmaschinerie der Tiere steht. Denn indem das Leiden der Tiere zum Objekt der Kunst wird, wird der Verobjektivierung der Tiere ein machtvolles „Nein“ entgegengeschrieen; Leid, das nicht nur im dokumentarischen Foto oder Video, sondern in der künstlerischen Darstellung fassbar wird, gewinnt einen neuen Stellenwert.
Wenn bisher Leid in der Kunstgeschichte dargestellt wurde, so handelte es sich häufig um das Leiden Jesu oder der Märtyrer, das dort thematisiert wurde. Die Darstellung des Leidens ist auch dort nie Selbstzweck, sondern weist über sich hinaus, will etwas bei der Betrachterin, dem Betrachter bewirken, die oder der im Bedenken der Leiden Christi zur Nachfolge aufgerufen wird, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Wenn Chris Moser und Tobias Hainer das Leiden der Tiere thematisieren, so ist dies gleichfalls nicht l’art pour l’art: Wenn sie die Leiden der Tiere nicht nur sichtbar machen, sie künstlerisch nicht nur überhöhen, sondern den leidenden Tieren die Würde und Schönheit zurückgeben, die menschliche Willkür und Allmachtsphantasien ihnen genommen haben, dann ist das ebenso sehr Gegenstand der Betrachtung wie ein Aufruf zum Handeln.
„Wir aber wollen nicht ruhig sein, wir wollen keine Elfenbeintürmchen bauen, in die wir uns zurückziehen … Unsere Kunst will keine bloße Mitleidenskunst sein, sie ist geboren aus Mitkämpferschaft“, so zitieren die Autoren eingangs Ernst Toller (1893-1939). So, denke ich, wollen sie auch ihr Buch verstanden wissen: als Aufruf zur Mitkämpferschaft, mit künstlerischen und allen anderen Mitteln. Ich bin sicher, er bleibt nicht ungehört.