Mensch Tier Bildung e.V. ist ein Berliner Verein, der altersgerechte Workshops und Projekttage anbietet, in denen sich Kinder und Jugendliche mit der Situation von „Nutztieren“ in unserer Gesellschaft beschäftigen. Wie diese Arbeit konkret aussieht und was sie bei ihrer Arbeit erleben, erzählt Sandra, die Geschäftsführerin von Mensch Tier Bildung, im Gespräch mit Johannes von Berlin-Vegan.
Ihr schreibt, dass ihr „emanzipatorische Bildungsarbeit“ macht. Was versteht ihr darunter?
Emanzipatorisch heißt für uns, dass wir niemanden überfahren wollen oder in unseren Workshops ein bestimmtes Ergebnis vorgeben. Unser Ziel ist, anhand von Informationen und verschiedenen Methoden die Teilnehmenden zum eigenen kritischen Nachdenken anzuregen. Dabei geht es nicht nur darum, das eigene Verhalten zu hinterfragen, sondern auch darum, die gesellschaftlichen Ursachen unseres Umgangs mit Tieren besser zu verstehen. Natürlich spielt der Konsum von Tierprodukten eine Rolle. Wir möchten aber verhindern, dass Kinder und Jugendliche sich nur oder zuallererst als Konsument_innen begreifen: Stattdessen motivieren wir sie, sich als Bürger_innen und politische Akteure zu begreifen, die sich auch anders als über das Einkaufsverhalten für mehr Tierschutz oder Tierrechte einsetzen können. Damit wollen wir zu einer Gesellschaft beitragen, die aus emanzipierten, mündigen und solidarischen Individuen besteht, um so eine Welt zu ermöglichen, in der die Ausbeutung von Menschen und Tieren sowie die Zerstörung der Umwelt keinen Platz findet.
Wie kann ich mir eure Arbeit konkret vorstellen?
Die Workshops selbst sind modular aufgebaut. Dabei betrachten wir unter anderem die Bedürfnisse von Tieren, die typischen Haltungsbedingungen, gesellschaftliche Hintergründe und Veränderungsmöglichkeiten, die Ernährung und eigene Handlungsoptionen. Durch unser modulares Baukastensystem können wir die einzelnen Bildungseinheiten im Umfang variieren und an die jeweilige Zielgruppe anpassen. Die Texte, Bilder und die Methoden insgesamt sind auch dem Alter der Schüler_innen angepasst. Bei den „Kleinen“ werden die Inhalte zum Beispiel spielerischer erarbeitet als bei den Älteren.
Das klingt anspruchsvoll. Wie viele Mitglieder habt ihr und wie viele Veranstaltungen führt ihr durch?
Wir sind ein kleiner Verein mit derzeit 13 Mitgliedern und 18 Workshopleitenden. Wir alle sind in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung aktiv und versuchen nun auch auf dem Weg der Bildungsarbeit eine gesamtgesellschaftliche Veränderung der Mensch-Tier-Verhältnisse voranzutreiben.
Da unsere Workshopleitenden bundesweit verstreut wohnen, können wir die Workshops auch bundesweit anbieten. Unser Angebot richtet sich vor allem an Schulen und FÖJ-Träger. Wir haben seit unserem ersten Schuljahr 2016/17 bereits über 100 Workshops und eine ganze Projektwoche in 9 Bundesländern durchgeführt. Über 2.000 Kinder und Jugendliche haben wir so erreicht.
Ihr sprecht Themen an, die oft verdrängt werden, wie etwa Massentierhaltung. Was sind die Reaktionen der Teilnehmenden darauf?
Viele Kinder sind entsetzt über typische Praktiken wie Kükenschreddern, das kurze Lebensalter der „Nutztiere“ oder die Enge in den Schweineställen. Trotzdem ist es für die meisten undenkbar, kein Fleisch zu essen. Auch die Idee, Tiere gar nicht für uns Menschen zu nutzen und vegan zu leben, wird kaum verstanden. Typische Tierschutzforderungen dagegen – wie mehr Platz oder ein längeres Leben für die Tiere – unterstützen die meisten. Und auch wenn wir mit vielen Beispielen erfahrbar machen, dass die Bedingungen in der Bio-Tierhaltung nicht viel anders sind als im konventionellen Bereich und auch da die Tiere ihre fundamentalsten Bedürfnisse nicht befriedigen können, sehen sie Bio-Tierhaltung als einen Teil der Lösung. Das zeigt, wie sehr sie bereits geprägt sind von den Vorstellungen der Erwachsenen in ihrem Umfeld.
Viele Teilnehmende ziehen aber auch praktische Konsequenzen: Sie wollen sich weiter mit dem Thema beschäftigen und andere informieren, weniger oder kein mehr Fleisch essen oder sogar eine Tierschutz-AG an ihrer Schule gründen.
Ihr arbeitet also hauptsächlich mit Kindern. Bekommt ihr Vorwürfe zu hören, dass ihr die Kinder manipulieren möchtet? Wenn ja, wie geht ihr damit um?
Negative Erfahrungen mit Lehrer_innen haben wir bisher keine gemacht. Obwohl wir ja eine ziemlich „radikale“ eigene Position haben, ist es uns bei den Workshops an Schulen sehr wichtig, die Schüler_innen nicht in eine Richtung zu beeinflussen, sondern Infos bereitzustellen und zum eigenen Nachdenken und zur offenen Diskussion anzuregen. Natürlich versuchen wir kritische Impulse zur gegenwärtigen Nutztierhaltung zu setzen, gerade gegen die Beschönigung von Bauernverband und Co., aber eben ohne Überzeugungsmission. Das erkennen auch die Lehrer_innen an, die bei den Workshops dabei sind – auch wenn sie teilweise eine andere Meinung haben als wir.
Wie Eltern auf unsere Workshops reagieren, dazu kann ich nichts sagen. Wir sind ja meist nur für einen Workshop an den Schulen und kommen dann vielleicht im nächsten Jahr wieder in eine andere Klasse an der gleichen Schule. Nur einmal haben uns in Berlin zwei Mütter regelrecht beschimpft, weil ihre Kinder kein Fleisch mehr essen wollten, nachdem wir eine ganze Projektwoche an einer Schule gestaltet haben. Das war aber bisher die einzige negative Erfahrung.
Was war Dein schönstes Erlebnis bei eurer Arbeit bisher?
In Berlin haben wir an einer Schule eine ganze Projektwoche gestaltet. Am vorletzten Tag haben wir einen veganen Kuchen und verschiedene vegane Aufstriche mit den Schüler_innen zubereitet. Anfangs war die Skepsis gegenüber Tofu und Co. relativ ausgeprägt, auch während der Zubereitung hielt diese Einstellung teilweise an. Als wir am Abschlusstag unsere Speisen anderen Projektgruppen und Eltern zum Probieren anboten, traten einige mit ihren teilweise kritischen Vorstellungen gegenüber veganen Gerichten an die anderen Schüler_innen heran. In diesem Moment begriffen die Schüler_innen das Thema der veganen Ernährung und der Tierrechte plötzlich als für sie relevant und diskutierten mit den Skeptiker_innen. Sie rannten mit Schnittchen über den Schulhof und machten sich Pläne, wie sie am meisten leckere Proben verteilten. Für uns war es nach einer sehr intensiven Zeit mit der Gruppe, in der wir auch teilweise daran zweifelten, ob die Teilnehmenden die Relevanz der dargestellten Problematik erkennen, ein Schlüsselerlebnis und zeigte uns, dass man mit einem handlungsorientierten Workshop die Schüler_innen erreicht.
Wer tritt mit euch in Kontakt und bucht eure Workshops?
Ich schreibe die Schulen bundesweit an und stelle Ihnen unser Workshopangebot vor. Uns antworten interessierte Lehrer_innen und vereinbaren mit uns dann die Termine. Wir werden inzwischen aber auch weiter empfohlen, was uns natürlich sehr freut. Unser Angebot ist generell kostenlos, wir freuen uns aber immer über Spenden.
Das heißt, ihr finanziert eure Arbeit nur über Spenden?
Wir hatten im ersten Jahr eine Anschubfinanzierung einer kleinen Stiftung. Die ist leider weggefallen, was sehr schade ist, da der Verein gerade wächst und immer mehr Anfragen von Schulen bekommt. Um die Bildungsarbeit fortführen zu können, sind wir auch auf Einzelspenden und noch mehr Fördermitglieder angewiesen. Da wir gemeinnützig sind, sind alle Spenden auch steuerlich absetzbar.
Es gibt so viele Organisationen, die Bildungsarbeit machen. Wieso sollte man gerade euch unterstützen?
Es sind leider vor allem Institutionen wie der Bauernverband, die Millionen von Euros in die Öffentlichkeitsarbeit und auch gerade in die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen stecken. Auch wenn wir diese Dimensionen nicht erreichen – mit jedem weiteren Workshop wecken wir Interesse, setzen kritische Impulse und regen zum praktischen Engagement an. Dabei arbeiten wir sehr kosteneffizient: Zur Zeit bin ich die einzige Angestellte, die mit 10 Stunden die Woche die Geschäftsführung und Organisation der Workshops übernimmt. Mehrere Leute engagieren sich ehrenamtlich zum Beispiel bei der Erarbeitung neuer Workshopinhalte. Der Löwenanteil des Geldes, das wir zur Verfügung haben, fließt direkt in die Workshops: Material, Fahrtkosten und eine Aufwandsentschädigung für die Moderator*innen, die für die Arbeit extra geschult wurden.
Vielen Dank für das Gespräch, Sandra, und weiterhin viel Erfolg!
Hier geht es zur Website von Mensch Tier Bildung e.V.